BayHStA Staatsrat 383 5 Seiten.

Datum der Genehmigung durch den Kurfürsten: 17. November 1803.

Anwesend: Montgelas; [MA:] Krenner sen., Zentner, Arco, [MF:] Krenner jun., Hartmann, Steiner, Schenk, [MJ:] Stengel, Stichaner, [MGeistl:] Branca.

Streit mit der Reichsstadt Regensburg um Hoheitsrechte

Krenner beendet seinen Vortrag über die Ansprüche Bayerns auf Hoheitsrechte in der Reichsstadt Regensburg. Der Streit soll nach Möglichkeit durch einen Vergleich beigelegt werden.

{1r} Herr Geheimer Rath von Krenner vollendete in der heutigen Sizung seinen in mehreren vorderen Staats Räthen angefangenen und fortgesezten Vortrag794 über die unveräüßerliche Rechte des Herzogthums Baiern in der vormahligen Reichsstadt Regensburg: und erwieß durch fünf Perioden, wie ebengedachte unveräüßerlich geweßene Rechte jedesmahl als uralte Haußstamlehen anerkant und hiernach behandlet worden; und zwar in der ersten Periode von Übertragung des Herzogthums an die durchlauchtigste Wittelsbacher 1180 bis auf die große Landestheilung 1255, in der zweyten Periode von lezterer bis auf den Abgang des Alt- und Nieder{2v}baierischen Herzogen Astes 1340. In der dritten Periode von lezter Ereichnüß bis auf die Theilung des baierischen Niederlandes unter K. Ludwigs Söhne 1353; in der vierten von eben dieser bis auf den Abgang der baierisch-holländischen Herzoge und die Theilung des straubingischen Niederlandes 1429. Und endlich in der fünften Periode von eben dieser Theilung bis auf die anno 1496 geschehene Veräüßerung der wichtigsten Hoheitsrechte von Herzog Albert IV. bis an die damahlige Reichsstadt Regensburg selbsten.

Durch ausführliche Auseinandersezung dieser fünf Perioden und ihrer Unter Abtheilungen, dann Zergliederung der hiebey angetrettenen Verhältnüße zeigte Herr Geheimer Rath von Krenner, daß der Bürgerschafft zu Regensburg mit der hohen Gerichtsbarkeit die große und kleine Zölle, das Münzregal, das Geleitsrecht, die Polizey Gerichte und noch viele andere Befugnüße, welche alle wahre Bestandtheile der baierischen Herzogs Würde seyen, theils verpfändet, theils auch durch den Vertrag von 1496 zum Nachtheil der Reichslehenfolger und der Rudolphinischen Agnaten veräüßeret worden795; und daß auch die der Stadt Regensburg 1496 zugestandene Bewilligung eines größeren Burgfriedens, die ihr geschehene Cession des Oberen Wörths und die bisherig nachtheilige Verhältnüße der herzoglichen Zollstadt am Hofe als gleichfalls Fideicommis und Reichslehensschmälerungen angesehen werden müsten und ferner nicht in dem dermahligen Zustande zu belaßen wären; eben so wenig die von der Stadt Regensburg ohne hinlänglichen Grund angesprochen und ausgeübt werdende Hoheit {3r} auf dem Donaustrohm und die Gerichtsbarkeit in dem Herzogen Hof zu Regensburg und dem dortigen Kornmarckte nachgegeben werden könte; endlich ein im Jahre 1497 des Weinzolls halber errichteter Vertrag ebenfalls reformiret zu werden verdiene.

Nach nochmahliger Beleuchtung aller für die Herzoge in Baiern sprechender Rechts Gründe in bezug auf diese verpfändete und veräüßerte Lehens und Fidei Commis Stücke, dann Bemerkung des Nachtheils der bey dem vorliegenden Reichs Deputations Hauptschluß § 45796 dem Churhauße durch Verschweigung dieser rechtlichen Ansprüche zugehen könte, machte Herr Geheimer Rath von Krenner den Antrag:

Die Cassation des ganzen Vertrags vom Jahre 1496 in richterlichem Weege nachzusuchen und einzuklagen, sohin alle durch diesen Vertrag weggegebene stamlehenbare Regalien zu reclamiren, ferner auch alle verpfändete oder veräüßerte Lehens und Fideicommisstücke zu revociren und überhaupt darauf zu bestehen, daß das herzogliche Hoheits Condominium in der Stadt Regensburg mit dem dortigen Hochstift dergestallten wieder hergestellet werde, wie es die Urverträge zwischen dem Herzogthume und dem Hochstifte von 1205 und 1213797 mit sich bringen.

Herr von Krenner fügte diesem Antrage die Bemerkung bey, wie für den Erfolg der gerichtlichen Einleitung zwar niemand bürgen könne, doch glaube Referent die Gerechtsame des Churhaußes so begründet und unverkennbahr, daß man nicht das mindeste Bedencken nehmen dürfte, dieselbe all europäischen Höfen erforderlichen Falls vorzulegen.

Durch die so gründlich als ausführlich bearbeitete Deduction des Herrn Geheimen Rathen von Krenner, welche dem Staats Rathe {2v} in mehreren Sizungen vorgetragen worden, fand derselbe die Gerechtsame des Churhaußes gegen die vormahlige Reichsstadt Regensburg so wohl begründet und so unverkennbahr, daß nach gehaltener Umfrage beschloßen wurde, nach dem Antrage des Referenten die Cassation des Vertrages von 1496 und die Revocation aller verpfändeten oder veräüßerten Lehens und Fideicommis Stücke im richterlichen Weege nachzusuchen, zu diesem Ende sohin des Herrn Chur Erz Canzlers798, als gegenwärtigen Besizer der Stadt Regensburg mittels Schreibens eine gedrängte Darstellung der dießeitigen Forderungen und Rechte zuzustellen und von ihme zu geßinnen, daß er nach dem 45 § des Reichs Deputations Hauptschlußes die Austrägal-Richter anhero bekannt machen möge, durch welche diese Differenzien geschlichtet und erlediget werden sollen.

Mit diesem Schritte sollen aber zugleich die Mittel verbunden werden, diese Differenzien mit der Stadt Regensburg im Vergleichs Wege gütlich zu beendigen, und deswegen der churfürstlichen Gesandte am Reichstage instruiret werden, des Herrn Chur Erz Canzlers zu eröffnen, wie Seine Churfürstliche Durchleucht zu gütlicher Beylegung der bestehenden Differenzien ganz geneigt und zu Eröffnung der näheren Unterhandlungen bereit seyen.

Die Hauptpunckte zu Schließung dieses Vergleiches sollen bestehen: a: in Begebung aller Hoheits Rechte auf dem Donaustrohme von seiten Regensburgs, b: in Begebung aller Gerichtsbarkeit auf den beyden Wörthen von Seite Regensburgs, c: in Aufhebung aller Gewerbsbeschränckung zu Stadt am Hof, und d: in Stellung der Zoll Verhältnüße in ein reineres und den churfürstlichen Staats Grundsäzen übereinstimmendes Sistem; wogegen alle übrige an Regensburg gemacht werdende Forderungen nachgegeben werden könten.

Vorlage des Beschlusses beim Kurfürsten und Genehmigung.

Anmerkungen

794
Zuletzt: Nr. 126 (Staatsrat vom 5. Oktober 1803), TOP 2.
795
Der Straubinger Vertrag vom 23. August 1496 bildete die Grundlage der Beziehungen zwischen Bayern und Regensburg während der gesamten frühen Neuzeit. Indem Herzog Albrecht IV. nach längeren Differenzen fast vollständig auf die Ausübung innerstädtischer Rechte verzichtete und die Territorien gegeneinander abgrenzte, gab er die »Basis des spätmittelalterlichen Verhältnisses zwischen Herzogtum und Reichsstadt, die wittelsbachischen Herrschaftsrechte in Regensburg«, preis. Regensburg war fortan bayerischem Einfluß entzogen. Vgl. Mayer, Das Ringen, S. 104 – 112, Zitat S. 3; P. Schmid, Herzog Albrecht IV., bes. S. 158 – 160; ders., Ratispona, S. 80 f.; A. Schmid, Regensburg, S. 187.
796
»Ferner sind diejenigen Ansprüche als vernichtet zu betrachten, welche an die für auf der linken Rheinseite verlohrne Besitzungen, auf der rechten Rheinseite gegebene Entschädigungslande gemacht werden könnten, sofern sie nicht innerhalb eines Jahrs vom 1sten Dezember 1802 an zu rechnen, vorgebracht, und gütlich, oder gerichtlich erledigt seyn werden. Sollte aber im Mangel gerichtlicher Entscheidung oder in Verweigerung eines billigen Vergleichs der Grund liegen, warum ein wirklich vorgebrachter Anspruch nicht in dem Lauf des gedachten Jahrs erledigt worden ist; so wird derselbe innerhalb eines zweiten Jahrs durch Austrägal-Richter ohne Appellation entschieden werden« (RDH vom 25. Februar 1803, § 45: Protokoll der ausserordentlichen Reichsdeputation zu Regensburg, Bd. 2, S. 841 – 934, hier S. 914 = Huber [Hg.], Dokumente Bd. 1, Nr. 1, S. 1 – 26, hier S. 17 f.).
797
Der Vergleich von 1205 (Ay, Altbayern, Nr. 209, S. 319 f.) zwischen Bischof Konrad IV. (1204 – 1226) und Herzog Ludwig I. (1183 – 1231) grenzte nach mehrjährigem Krieg die politischen und wirtschaftlichen Kompetenzen in Regensburg im Sinne einer Teilung der Herrschaftsrechte ab. Allerdings war die dadurch erreichte Verbesserung der Position für den Herzog nicht von langer Dauer, denn bereits 1213 wurde er anläßlich der Erneuerung des Vertrags (ebd., Nr. 210, S. 321 f.) weithin aus seinen Rechten verdrängt, was dem Eingeständnis gleichkam, die Herrschaftsansprüche des Bischofs nicht ausschalten zu können. Vgl. A. Schmid, Regensburg, S. 83 – 85; Mayer, Das Ringen, S. 13; P. Schmid, Ratispona, S. 68 f.
798
Reichserzkanzler war seit Juli 1802 Karl Theodor von Dalberg.