BayHStA Staatsrat 382 10 Seiten.

Datum der Genehmigung durch den Kurfürsten: 11. Oktober 1802.

Anwesend: Hertling; [MA:] Krenner sen., Zentner, [MF:] Krenner jun., Hartmann, Steiner, Schenk, [MJ:] Löwenthal, Stengel, Stichaner, [MGeistl:] Branca.

Auf Vorschlag Stengels wird der Regierungsrat Kaltenbrunner zum Hofrat ernannt.

{2r} 1. Herr geheimer Justiz-Referendär v. Stichaner erstattete wegen Besetzung der durch den Tod des Hofraths Faistenberg erledigten Hofrathsstelle mündlichen Vortrag und äuserte: wie das churfürstliche Hofraths-Direktorium für diese Stelle den Grafen v. Seiboltsdorff315 in der Voraussetzung in Vorschlag bringe, daß die beide Regierungsräthe von Goddin und v. Chlingensperg nach seinem Gutachten vom 17. vorigen Monats316 die schon länger eröfnete Hofrathsstellen erhalten haben.

{2v} Herr von Stichaner führte an, daß nach erfolgter churfürstlicher höchster Genehmigung die Regierungsräthe v. Goddin und Graf von Seiboltsdorff zu wirklichen Hofräthen ernannt worden, folglich das Gutachten des Hofraths-Directorii auf den Regierungsrath v. Chlingensperg angenommen werden könne, und das Ministerial Justizdepartement hiemit einverstanden auch hierauf antrage; nur müsse er aber hiebei bemerken, daß die geheime Justiz-Referendarien Freiherr von Löwenthal und Freiherr v. Stengel eine andere Meinung deswegen hätten, und ersterer auf den Regierungsrath St. Marie Eglise, letzterer aber auf den Regierungsrath Kaltenbrunner antrage.

Nach gehaltener Umfrage in dem Staatsrathe wurde beschloßen: den Regierungsrath Kaltenbrunner zu Besetzung der eröfneten Hofrathsstelle Seiner Churfürstlichen Durchlaucht gehorsamst in Vorschlag zu bringen317.

2. Der auf einem Bericht der Generallandesdirektion gründende Antrag Zentners, den Aktuar Prändl auf eine »statusmäsige Besoldung« von 500 fl. zu setzen, »weil er mit vielen und wichtigen Arbeiten überhäufet seye«, wird genehmigt.

Der »Kommissär der Brand-Versicherungsanstalt« Franz von Paula Knebel erhält in Erwartung »seines fortzusetzenden Eifers« eine Gehaltserhöhung auf 1200 fl.

3. Herr geheimer Justiz-Referendär v. Stichaner legte dem Staatsrathe die Bittschrift vor, welche der Kommissär der Brand-Versicherungsanstalt Knebel um Gleichstellung seiner bis itzt in 1.000 fl. bestehenden Besoldung mit jener eines Landesdirektionsraths übergeben, und äuserte, einverstanden mit der General Landesdirektion, daß dem tit. Knebel künftig zu seinem von dem Ärarium beziehenden Gehalte in Anhofung seines fortzusetzenden Eifers, noch weitere 200 fl. mit Einschluß des gegenwärtigen Assecuranz-Jahres aus der Assecuranzkasse verabfolgt, und in der öfentlichen Rechnung vorgetragen werden solle, wobei auch zu wiederholen wäre, daß die Termine jederzeit genau beobachtet, und in dem Monate Jänner zuverläßig die Ausschreibung der Brandschäden für das Jahr 1802 erfolgen müsse.

Dieser Antrag wurde genehmigt.

Dem Paulaner-Bräuhaus in der Au wird das Braurecht gewährt. Der Antrag des Papiermachers Pachner, ihm eine »gleichartige Gerechtigkeit« zu verleihen, soll vorerst auf sich beruhen.

{3v} 4. Herr geheimer Justiz-Referendär v. Stichaner las einen Reskripts-Aufsatz ab, welchen er nach vorhergegangener Communication mit dem geistlichen Ministerial Departement wegen der Bräugerechtigkeit des Paulaner-Bräuhauses an die General Landesdirektion entworfen, und wodurch derselben aufgetragen wird, für das Paulaner Bräuhaus in der Au eine ordentliche und reale Bräugerechtigkeit dergestalten zu bewilligen daß derjenige, an welche sie itzt oder künftig verkauft werden wird, sich aller, in den Polizei- und Aufschlags-Mandaten enthaltenen Gesetzen zu unterwerfen haben solle; wo übrigens das Gesuch des Papiermachers v. Pachner um eine gleichartige Gerechtigkeit auf sich zu beruhen habe.

Dieser Reskripts-Entwurf wurde mit folgenden Beisätzen von dem Staatsrathe genehmigt, daß im Anfange nach Bräugerechtigkeit, gesetzt werde: jedoch nicht mit ausschließlichem Rechte, und am Schluße bei der Bräugerechtigkeit des v. Pachner: noch zur Zeit zu beruhen habe 318.

Untersuchungshaft im Herzogtum Berg

Vortrag Stengel: Entwurf eines Reskripts an den Geheimen Rat des Herzogtums Berg über die rechtliche Normierung der Untersuchungshaft. Regelungsbereiche u.a.: Voraussetzungen und Dauer der Haft; Verfahrenskosten; Strafzumessung.

{4r} 5. In einem erstatteten ausführlichen Vortrag über den Bericht des bergischen geheimen Raths wegen criminalrichterlichen Erkenntnißen in Fällen des Verdachts, und über die von demselben deswegen aufgestellte verschiedene Fragen, äuserte Herr geheimer Justiz-Referendär Freiherr von Stengel: daß es den Widersprüchen des bergischen geheimen Raths ohngeachtet bei der den 7. May d. J. gefaßten Entschließung belassen319, und nach dieser Ansicht die aufgeworfenen Anstände und Fragen beantwortet werden könnten.

Freiherr von Stengel las hierauf einen Reskripts-Entwurf ab, welchen er nach diesen Grundsätzen an den bergischen geheimen Rath gefertiget, und worin die Beantwortung aller gestellten Fragen des bergischen geheimen Raths enthalten.

Von dem Staatsrathe wurde hierauf nach der über ieden Punkt des Reskripts-Entwurfes veranlaßten Umfrage beschloßen, daß zwar von der Verordnung vom 7. May d. J. nicht abgegangen, die gebettene Entscheidungen der vorgelegten Anfragen aber auf folgende Art ertheilt werden solle:

Ad I. und V. Nach dem Antrage {4v} des Referenten mit folgender Modifikation: Die Sicherheits-Maasregeln sollen nicht nur Fürsorge gegen künftige Verbrechen, sondern auch das Mittel, die Verdächtigkeit eines Beschuldigten näher zu erforschen seyn. Der Kriminalrichter habe also dieselbe zu bestimmen, und dabei Rücksicht zu nehmen 1.) auf die Grade der Gefährlichkeit des Verdächtigen nach dessen persönlichen Eigenschaften, oder nach der Schwere des Verbrechens, 2.) auf die Wahrscheinlichkeit, daß das Verbrechen noch näher erforschet werden könne. Der Sicherheits-Verhaft dürfe nie von längerer Dauer seyn, als der Verhaft ware, welcher auf das Verbrechen selbst zu erkennen seyn werde. So wie die Erwartung, den Verbrechen näher zu erforschen fortdauert, so kann auch der Verhaft auf eine unbestimmte Zeit erkannt werden: nie aber solle das bestimmte Erkenntnis eines lebenslänglichen {5r} Sicherheit-Verhafts statt finden. Die Maasregeln der Sicherheit können auch durch Cautionsleistungen getrofen werden; und der Verhaft ist also nur dann zu erkennen, wenn die Sicherheits-Caution nicht geleistet werden kann, oder nach Art des Verbrechens oder des Beschuldigten nicht statt findet. Überhaupt aber hat der Kriminalrichter bei solchen Erkenntnißen nach jenen Regeln zu verfahren, nach welchen dessen Erkenntniße auf ordentliche Strafen bemessen würden.

Ad II. Zum Ersatz der Untersuchungskösten kann der Verdächtige allerdings schuldig erkannt werden, in soweit er durch solchen Verdacht den Anlaß zur Untersuchung gegeben, und diese den auf ihm liegenden Verdacht zum Gegenstand hat.

Ad III. Der Verdächtige könne nicht zum wirklichen Schadens-Ersatze, sondern nur zur Caution für den Ersatz des Schadens in den Fällen angehalten werden, wenn der Grad des Verdachts von der Art ist, daß dem Staate durch Verhaft oder Caution {5v} Sicherheit geleistet werden muß.

Ad IV. Nach dem Antrage: soll der Sicherheits-Verhaft bis zu weiterem Erfolge der Verordnung vom 3. April l. J. in dem Neuenbaue angewiesen, jedoch dabei die Eigenschaft des Verhafts ausdrücklich erklärt, und mit möglichster Sönderung von den Züchtlingen verfüget werden.

Ad VI. Nach dem Antrage, nämlich: wenn der Verhaftete so viel eigenes Vermögen hat, oder durch Handwerksarbeit, durch eine Kunst, oder Wissenschaft im Verhafte soviel sich verdienen kann, daß er daraus seinen Unterhalt im Verhafte bezahlen könne; so solle demselben frei bleiben, wie er sich beschäftigen wolle. Ist derselbe aber nicht im Stande, in solcher Art seinen Unterhalt zu bezahlen, so seye er anzuhalten denselben durch Arbeit abzuverdienen. Doch soll diese Arbeit nicht mit Schande, oder ausserordentlichen Beschwerden verbunden, vielmehr desselben persönlichen Fähigkeiten {6r} und Kräften besonders angemessen seyn.

Ad VII. Auch in dem Falle, wo einer eines geringern Verbrechens verdächtig ist, soll nicht auf ausserordentliche Strafe erkannt werden. Die für die Sicherheits-Maasregeln streitenden Grundsätze seyen allgemein; in sofern aber bei dem Verdachte eines geringern Verbrechens auch die vorausgesetzten Motive der Gefährlichkeit des Verdächtigen mangeln, finden selbst die bemerkten Maasregeln der Sicherheit nicht statt.

Ad VIII. Nach dem Antrage: in Fällen, wo Culpa des Beschuldigten erwiesen ist, de Dolo aber nur naher Verdacht besteht, ist wegen ersterer die gesetzliche Strafe, in Betreff des letzteren aber nach Sicherheits-Maasregeln zu erkennen.

Ad IX. Nach dem Antrage: Wenn auf den Verdacht der Sicherheits-Verhaft erkannt ist, so kann die Loßsprechung von der Instanz nur dann erst eintretten, {6v} wenn die Zeit des Verhaftes vorüber ist.

Ad X. Nach dem Antrage: Wenn der Verdacht durch neue Beweise zur gesetzlichen Gewißheit erhoben wird; so ist die im Gesetze auf das Verbrechen statuirte ordentliche Strafe zu erkennen, ohne daß der Verhaft daran in Aufrechnung komme. Der Verhaft könne die Eigenschaft einer Strafe für das Verbrechen selbst nicht annehmen; und sey in ieder Hinsicht in solchem Falle die Folge des beharrlichen Verheelens, diesem also auch allein zu zumessen.

Vorlage der Anträge und Entschließungen beim Kurfürsten und Genehmigung (Schreiberhand: Montgelas).

Anmerkungen

315
Seiboltsdorff war nach seiner Verwendung als Hofrats-Akzessist am 23. April 1802 zum Regierungsrat in Landshut ernannt worden (RegBl. 1802, Sp. 391).
316
Nr. 61 (Staatsrat vom 25. August 1802), TOP 2.
317
Vgl. die entsprechende Bekanntmachung vom 22. Oktober 1802: RegBl. 1802, Sp. 753.
318
Vgl. den entsprechenden Eintrag in den Ratsprotokollen der Stadt München: Stahleder, Chronik Bd. 3, S. 506 (Regest zum 11. Oktober 1802).
319
Vgl. Nr. 37 (Staatsrat vom 5. Mai 1802), TOP 6.