BayHStA Staatsrat 382 11 Seiten.

Datum der Genehmigung durch den Kurfürsten: 15. Januar 1803.

Anwesend: Montgelas, Morawitzky, Hertling; [MA:] Krenner sen., Zentner, [MF:] Hartmann, Steiner, Schenk, [MJ:] Löwenthal, Stengel, Stichaner, [MGeistl:] Branca.

{3r} 1. Montgelas teilt die Entschließungen des Kurfürsten vom 18. Dezember auf die Anträge des Staatsrats vom 1., 9. und 15. Dezember 1802 mit.

Besetzung der Ratsstelle bei der 3. Deputation der Landesdirektion zu Amberg mit Friedrich von Niller; Verfahrensfragen.

2. In einem über die Wiederbesetzung der durch den Tod des tit. Eisenhut erledigten {3v} Rathsstelle bei der 3. Deputation der Landesdirektion zu Amberg erstatteten schriftlichen Vortrag, führte Herr geheimer Rath von Zentner zuerst die Supplicanten, welche sich um diese Stelle gemeldet, und dann die Gründe an, so die 3. Deputation bestimmet, den Landkommissär v. Niller zu dieser Stelle einstimmig vorzuschlagen.

Herr geheimer Rath von Zentner äuserte, wie das Ministerial Departement der auswärtigen Angelegenheiten bei diesem einstimmigen Antrage der 3. Deputation sowol, als das Pleni der oberpfälzischen Landesdirektion sich ebenfalls einverstehe den bisherigen Landkommissär v. Niller als Landesdirektionsrath der 3. Deputation anzustellen.

Zugleich machte auch Herr geheime Rath von Zentner von einer bei dieser Gelegenheit zwischen dem Präsidenten413 und den beiden Direktoren v. Schmid und Frhrn. v. Aretin414 wegen der Geheimhaltung der von den Direktorn und Räthen bei Besetzung solcher Rathsstellen verschlossen abgegeben werdenden Abstimmungen entstandenen Collision, welche der oberpfälzische Landesdirektions-Präsident Graf v. Kreith {4r} in einem besonderen Berichte, der abgelesen wurde, zur höchsten Kenntnis gebracht, Erwehnung, entwickelte derselben Veranlaß und Grund, las das Normal-Reskript vom 11. Juny 1799, welches die deutliche Bestimmung enthält, wornach diese Collision gehoben werden könnte, und äuserte, daß nach den vorgetragenen Umständen, das Praesidium der oberpfälzischen Landesdirektion an die genaue wörtliche Beobachtung dieses Normal-Reskripts angewiesen werden möchte.

Nach gehaltener Umfrage genehmigte der Staatsrath beide Anträge des Ministerial Departements der auswärtigen Angelegenheiten415.

Aufhebung der Erbpflegen

Der Staatsrat genehmigt Zentners historisch und rechtlich begründete Anträge, die Erbpflegen in Bayern aufzuheben. Auf Anregung Montgelas’ wird eine entsprechende Verordnung ausgearbeitet.

3. Herr geheimer Rath von Zentner schilderte nach den Akten-Fragmenten, welche er über die Erbpflegen in Baiern hat zusammen bringen können, in einem schriftlichen Vortrage, auf welche Weise die Pflegämter von den älteren Zeiten bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts von den baierischen Landesfürsten nach Fähigkeit und Verdiensten der anzustellenden Subjecte verliehen, {4v} welche Bestimmung die Pfleger zu erfüllen, welche Pflichten ihnen aufgelegt, und welche ansehnliche Nutzungen ihnen angewiesen worden.

Herr von Zentner zeigte, wie in der Mitte des 17. Jahrhunderts einzelne Pfleger anfänglich aus gültigen Gründen z. B. wenn sie persönlich in das Feld zogen, oder eine Stelle in dem fürstlichen Rathe annehmen mußten, anfiengen ihre Aemter einem Verweser zu übertragen, wie nach und nach die Anordnung solcher Verweser ausartete und der unter Max dem I dagegen geschehenen Verfügungen ohngeachtet so allgemein wurde, daß alle Pfleger ihre Aemter den Verwalter für ein kleines Gehalt überliesen, und den Überrest ihrer ansehnlichen Pflegnutzungen entweder auf ihren Gütern oder in der Stadt verzehrten, ohne sich weiters mehr um ihr Amt zu bekümmern, welches die schlimme Folge hatte, daß die Verweser gewöhnlich nur zur höchsten Nothdurft besoldet waren und deswegen auf allerlei Nebengefälle, Taxen, Sporteln sinnen mußten.

Die Verleihung dieser Hauptpflegen seyen verschieden, theils titulo onoroso, theils durch Verdienste erworben worden, {5r} wie man aus den kurzen Geschichten einiger z. B. von Vilshofen, Aibling und Trosberg, welche Herr von Zentner nach den Acten aushob, ersehen könne.

Herr geheimer Rath von Zentner entwickelte nun die Ursachen, welche in dem Jahre 1796 veranlaßten, daß man zu Unterstützung der churfürstlichen Kassen den Plan entwarf, die Pfleggründe in Baiern eben so zu verkaufen416, wie solches schon früher in der Obernpfalz geschehen, und den Pflegen selbst zum Wohl des Staates eine andere Umformung zu geben417. Herr von Zentner zeigte, welche Einleitungen zu Ausführung dieser Plane getrofen worden, was deswegen im Anfange der gegenwärtigen Regierung geschehen, und welche Hinderniße dem Verkaufe der Pfleggründe zu Aibling auf Anrufen des Erbpflegers Frhr. v. Schmid durch die Justizstellen entgegen gestellet worden. Er las die Beschwerdschrift des Frhr. von Schmid und die bei dieser Gelegenheit von dem Ministerial Finanzdepartement erlassene Note ab; erwehnte eines zweiten Falles der sich mit der verwittibten Gräfin von Oexle wegen des ihr und ihren Kindern zugesicherten Pflege- und Kastenamts Landau ergab, und stellte folgende zu entscheidende Fragen auf:

I. Sind Seine itztregierende Churfürstliche {5v} Durchlaucht verbunden, die ertheilten Erbpflegen bei den Familien, welchen sie ertheilt worden sind, bestehen zu lassen?

II. Können Sie solche unbedingt aufheben, oder sind Sie dem betheiligten Hauptpfleger und seiner Familie eine Entschädigung dafür schuldig, wer muß sie leisten, die Staatskasse oder die Allodialmasse des Verleihers, und nach welchem Masstabe ist eine solche Entschädigung zu reguliren?

III. Kann in jedem Falle mit dem Verkaufe der Pfleggründe ohngeachtet entstehender Widersprüche fortgefahren werden; wie ist sich gegen die Erkenntnisse der Justizkollegien, in specie in dem Falle des Frhrn. von Schmid zu benehmen?

Nachdem Herr geheimer Rath v. Zentner diese drei Fragen mit Anführung aller hiebei eintrettenden Verhältnissen beantwortet hatte, folgerte er daraus nachstehende Anträge:

Ad I. daß Seine itzt regierende Churfürstliche Durchlaucht ohne Anstand berechtiget seyen, wie sie auch bei Bestättigung der unter der vorigen Regierung {6r} angefangenen Finanzoperation mit Veräuserung der Pfleggründe ihre nähere Erklärung sich vorbehalten haben, sämtliche Erbpflegen in Ihren oberen Staaten aufzuheben, und diese Aemter wieder dahin zurück zuführen, was sie ursprünglich waren, und nach ihrer Natur seyn sollten.

Ad II. Könne aus der Verleihung der Erbpflegen, welche eine unerlaubte Regentenhandlung gewesen, nie ein Anspruch auf Entschädigung gegen den Staats-Nachfolger entstehen; und nur dann, wenn eine solche Erbpflege titulo onoroso erworben, oder zu Belohnung geleisteter Staatsdienste verliehen worden wäre, nach vorheriger Untersuchung ob dasjenige was dafür gegeben wurde, zum Beßten des Staates verwendet, oder ob die dadurch belohnte Verdienste wahre anerkannte Dienste um dem Staate waren, müßte eine Entschädigung aus der Staatskasse geleistet werden; wo diese Fälle nicht eintretten, könne von einer Entschädigung aus der Staatskasse keine Frage seyn, und nur eine Foderung gegen die Allodialmasse des Verleihers angestellet werden.

Eine hiebei entstehende zweifelhafte Rechtsfrage, ob solche Pensionen, welche für die Erbpfleger regulirt werden, auf die ganze Familie des Erbpflegers eben so wie die {6v} Erbpflege selbst, als das Sorrogat derselben, übergehe? – beantwortete er Referent dahin: wie er glaube, daß dieses nicht der Fall seyn könne, weil durch Verleihung einer solchen erblichen Pension die Grenzen einer gesetzmäsigen Regenten-Gewalt überschritten würden, und man den dermaligen Erbpflegern nur allein für ihre Person eine Pension zu leisten habe.

Hätten Familien Capitalien für solche Erbpflegen hingegeben, so müßten solche denselben restituirt werden; gegen die Allodialmasse der baierischen Herzogen könne man nicht strenger verfahren, da sie seit dem Teschner Frieden mit dem Staats-Vermögen vereiniget worden418, und man überhaupt annehmen könne, daß die baierischen Herzoge bei Verleihung der Erbpflegen Regenten- und nicht Privathandlungen haben setzen wollen, wie ihre Bestallungsbriefe den Beweiß lieferten.

Ad III. Die Einmischung der Justizkollegien in diese Staatsverfügung, könne auf keine andere legale Art beseitiget werden, als durch gründliche Exceptiones, wobei man von den bisher entwickelten Grundsätzen ausgehen und dabei {7r} erklären müsse, daß man den dermaligen Besitzern der Erbpflegen sobald aus den veräußerten Pfleggründen und übrigen Emolumenten eine geeignete Besoldung für den wirklichen Landrichter hergestellet haben werde, eine verhältnißmäsige Pension für seine Person anweisen zu lassen nicht entstehen werde. Es werde sich dann zeigen, ob die Justizstellen diese Grundsätze annehmen, wenigstens werde es immer räthlicher seyn, den Versuch zu machen, ehe man durch eine förmliche Gesetzgebung zu anderen Maasregeln schreite; darnach wäre nun die General Landesdirektion zu instruiren:

Bei solchen Hauptpflegen, wo der letzte Besitzer gestorben und die Wittwe und Kinder in die Categorie von Beanwartschafteten erscheinen wie z. B. die Gräfin Oexle mit ihren Kindern wegen Landau, diese Supplikanten nach den schon bereits aufgestellten Regierungs-Grundsätzen abzuweisen. Glauben sie Ansprüche gegen die Allodialmasse des Verleihers zu haben, so ist es ihre Sache, solche bei der geeigneten Stelle anzubringen. Bei den übrigen Fällen, wo der {7v} Besitzer der Erbpflege noch am Leben ist, nach den entwickelten Grundsätzen zu verfahren.

Herr geheimer Rath von Zentner erinnerte noch, wie bei der Sitzung des Ministerial Departements der auswärtigen Geschäften, wo dieser Gegenstand vorgekommen, des Herrn geheimen Staats- und Konferenz-Ministers Freiherrn von Montgelas Excellenz die Meinung geäusert, wie sie für rätlicher hielten, zu Entfernung aller Einmischung der Justizstellen, schon dermal ein Gesetz nach den entwickelten Grundsätzen entwerfen, und den Justizkollegien zur Nachachtung bekannt machen zu lassen, ohne sich in solchen Fällen auf einen Prozeß einzulassen.

Nach gehaltener Umfrage in dem Staatsrathe genehmigte derselbe sämtliche in diesem Vortrage entwickelte Grundsätze und Anträge mit dem Beisatze, daß solche schon dermal nach der Meinung des Herrn geheimen Staats- und Konferenz-Ministers Frhr. von Montgelas Excellenz in ein Gesetz gefaßet, und solches zur {8r} Nachachtung allgemein bekannt gemacht werden solle419.

Vorlage der Anträge und Entschließungen beim Kurfürsten und Genehmigung.

Anmerkungen

413
Präsident der Landesdirektion der Oberpfalz war seit 1799 Joseph Sigismund Reichsgraf v. Kreith (vgl. HStK 1802, S. 183).
414
Philipp Joseph von Schmid, Direktor der 1. Deputation in »Polizeysachen«, Johann Georg Freiherr v. Aretin, Direktor der 4. Deputation in »Landkulturs- Forst und Bausachen« bei der Landesdirektion der Oberpfalz (HStK 1802, S. 183, S. 184).
415
Vgl. zum Fortgang Nr. 81 (Staatsrat vom 29. Dezember 1802), TOP 1.
416
VO wegen »dem Verkauf der Pfleggründe« vom 18. Oktober 1797, MGS Bd. 6, Nr. VIII.15, S. 227 – 231.
417
VO betr. die »neue Organisation der Pflegen, und den Verkauf der Pfleggründe in Baiern« vom 4. Januar 1797, MGS Bd. 5, Nr. VIII.191, S. 907 – 914.
418
Ergebnis des Friedenwerks von Teschen vom 13. Mai 1779, das insofern hausvertragliche Regelungen der 1760er und 1770er Jahre reichsrechtlich absicherte (dazu Strauven, Familienverträge, bes. S. 273 – 282), war u.a. der Verzicht Sachsens auf das bayerische Allodialerbe, das mit den pfalzbayerischen Territorien zu »une seule masse fideicommissaire« vereinigt wurde (Konvention zwischen den Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen vom 13. Mai 1779, Art. 3, Martens, Recueil, Bd. 2 Nr. 71e, S. 16 – 19, hier S. 17). Alle »Pfälzische und Bayrische Lande« machten fortan »ein einiges Corpus zusammen« aus, in welchem alle Herren des Hauses nach dem Erstgeburtsrecht einander folgen sollten. Da die Lande mit einem Fideikommiß belegt waren, durfte der jeweilige Besitzer nichts davon veräußern oder mit Schulden beschweren (Moser, Fridensschluß, S. 215 f.). Wie der für die Reformpolitik nach 1799 grundlegende Ansbacher (Rohrbacher) Hausvertrag vom 12. Oktober 1796 (MGS [N. F.] Bd. 1, Nr. II.85, S. 141 – 150, hier S. 148, Art. 30a) erneut formulierte, wurde durch den Teschner Frieden »die gesammte baierische Erbschaftsmasse in eine einzige Fideikommissarische vereiniget«. Dieser Umstand bildete die Grundlage der »Domanial-Fideikommißpragmatik« vom 20. Oktober 1804 (RegBl. 1805, Sp. 161 – 179), dazu unten Anm. 833.
419
Mit VO vom 11. April 1803 verfügte der Kurfürst, »sämtliche unter den vorigen Regierungen in unseren oberen Staaten verliehene Erbpflegen aufzuheben, und diese Ämter wieder auf das zurücke zu führen, was sie ursprünglich waren, und nach ihrer Natur seyn sollten« (RegBl. 1803, Sp. 241f.).