BayHStA Staatsrat 383 13 Seiten.

Datum der Genehmigung durch den Kurfürsten: 15. Januar 1803.

Anwesend: Montgelas, Morawitzky, Hertling; [MA:] Krenner sen., Zentner, [Arco], [MF:] Steiner, Schenk, [MJ:] Löwenthal, Stengel, Stichaner, [MGeistl:] Branca.

Ernennung Philipp Graf von Arcos zum geheimen Referendar des auswärtigen Ministerialdepartements. Zudem übernimmt er den Sitz im Staatsrat anstelle Bayards.

{1r} 1. Des Herrn geheimen Staats- und Konferenz-Ministers Freiherrn von Montgelas Excellenz eröfneten dem versammelten Staatsrathe, wie Seine Churfürstliche Durchlaucht nach der den sämtlichen Ministerial Departements schon geschehenen Mittheilung an die Stelle des nach Würzburg versetzten Herrn geheimen Referendär von Bayard460, den bisherigen General Landesdirektionsrath Herrn Philipp Grafen von Arco zum geheimen Referendär des auswärtigen Mi{1v}nisterial Departements zu ernennen geruhet, in dessen Folge Herr Graf von Arco dem heutigen Staatsrathe beizuwohnen und den ihm zukommenden Platze einzunehmen habe. Herr Graf von Arco nahm den für ihn bestimmten Platz ein461, und

Herr geheimer Justiz-Referendär von Stichaner führte

Dr. Kraus wird zum Arzt bei dem neu errichteten »Irrenhause« in Giesing bestellt. Das dabei angewendete Auswahlverfahren wird kritisiert, da es nicht mit der Vorgabe des Staatsrats übereinstimmte.

2. den Staatsrath in einem schriftlichen Gutachten auf jenen in der geheimen Staats Konferenz vom 31. July v. J. genehmigten Beschluß462 zurück, wodurch verordnet worden, daß alle diejenige Individuen, welche die Stelle eines Arztes bei dem neu errichteten Irrenhause unter den damit verbundenen Bedingnißen anzutretten wünschen, öfentlich zum Konkurse vorgeladen, und unter dem Vorsitze eines General Landesdirektionsrathes eine gemeinschaftliche Prüfung, wobei jedoch vorzüglich auf psichologische und andropologische Kenntniße und Erfahrungen Rücksicht zu nehmen, veranstaltet, fort derjenige, so am fähigsten befunden werde, in {2r} Vorschlag gebracht werden solle.

Zu diesem Konkurse hätten sich drei Subjekte, nämlich Kraus, Seitz und Weisbrod, drei schon examinirte, approbirte und die Medizin ausübende Aerzte gestellet, und sich der schriftlichen Beantwortung der ihnen vorgelegten, von den Medizinalräthen entworfenen Fragen unterzogen. Das Resultat dieser 3 Tage angedauerten Prüfung seye gewesen, daß die Medizinalräthe den 29. Oct. dem Med. Dt. Kraus den Vorzug zuerkannt.

Herr von Stichaner machte nun von einer in dieser Sitzung der Medizinalräthe zwischen dem dirigierenden Medizinalrath Schubauer und Medizinalrath Öggl wegen der Abstimmung entstandenen Irrung und einem auf letzteren nach einer von dem D. Seitz bei der General Landesdirektion übergebenen Beschwerdschrift gefallenen Verdacht einer Propulation an den D. Seitz Erwehnung, las die von der Majorität über diesen Gegenstand abgegebene Erläuterung, die Vertheidigung des Medizinalraths Öggl gegen den ihm angeschuldeten Verdacht, und das Gutachten der General Landesdirektion ab, und stellte namens des Ministerial Justizdepartements in {2v} dieser Sache folgende Anträge:

1.) Nachdem in dem Reskripte bei dieser Prüfung die Zuziehung eines gen. Landesdirektionsrathes ausdrücklich anbefohlen war, so hätten die Medizinalräthe durch solche Unterlassung verweißlich gehandelt.

2.) Da keinem Kollegialrathe von seinem Direktorium verwehrt werden könne, seine Meinung mit Gründen zu unterstützen, so lange derselbe nicht die Rathsordnung überschreite, so seye auch von dem Medizinalrathe Schubauer gefehlt worden, daß derselbe dem Medizinalrathe Öggl sein räsonirtes Votum nicht ablegen ließ.

3.) Unterdessen seyen doch diese Umstände nicht von der Wichtigkeit, daß der Beschluß aufgehoben und eine neue Abstimmung, welche niemal anders ausfallen würde, anbefohlen werden könnte.

4.) Dr. Kraus seye daher nach der vor dem Konkurs den Kompetenten gegebenen Versicherung als Arzt bei dem Irrenhause zu benennen.

5.) Dr. Oeggl könne sich durch die Ausrede, daß der Gegenstand blos wissenschaftlich gewesen seye, und daß in der Medizinal-Instruktion nicht von einem Geheimniß der in dem Kollegium vorgehenden Abstimmungen enthalten sey, nicht entschuldigen. – Die Sache verdiene keine weitere Untersuchung, weil Dr. Öggl seine Handlung selbst frei und offen bekenne und zu entschuldigen suche. – Es dürfte daher sowol ihm als insbesondere dem Dr. Seitz ein nachdrücklicher Verweiß gegeben werden.

6.) Das Präsidium der General Landesdirektion habe diese Gelegenheit ergriffen, verschiedene Vorschläge zu machen, wie das Verhältniß der Medizinalräthe besser bestimmt werden könne; da aber die Gegenstände, welche die Ordnung der General Landesdirektion selbst betreffen, dem Geheimen Ministerial Departement der auswärtigen Angelegenheiten zugewiesen wären, so werde dieser Präsidial-Bericht demselben zur ferneren Verfügung zu übergeben seyn.

{3v} 7.) Es habe zwar Dr. Sax unter der Unterstützung des geheimen Raths von Besnard mehrmal gebeten, daß man ihm als Arzt bei dem Irrenhause anstellen möge, weil er schon in der Au angestellt sey; nachdem aber darüber mehrmal in dem Staatsrathe referirt und der Beschluß unveränderlich dahin gefaßt wurde, daß Dr. Sax in solchem Falle dem Konkurse sich zu unterziehen habe, welches er unterlassen hat, so werde auf seine Bitte, und könne auf die Unterstützung des geheimen Raths v. Besnard keine fernere Rücksicht genommen werden.

8.) Solle es bei der bereits mehrmal beschlossenen Bestimmung sein Verbleiben haben, daß der Irren-Arzt zu Giesing in der Au nahe zu wohnen, und die Au als Phisikus daselbst zu besorgen habe. Dem Dr. Sax solle unbenommen bleiben seine Praxis hier oder in der Au ferner auszuüben.

9.) Solle nach dem schon bestehenden Staatsrathsschluße: daß der Medizinalrath Leuthner463, welcher das Krankenhaus zu Giesing zeither {4r} besorget, ferner nicht mehr adhibirt werden solle, demselben von seinem dermal beziehenden Gehalt von 560 fl. eine seiner Besoldung und übrigen Umständen angemessene Pension ausgeworfen und er als Arzt des Krankenhauses zu Giesing quiescirt werden.

Der Staatsrath genehmigte nach gehaltener Umfrage sämtliche Anträge des Ministerial Justizdepartements mit dem Beisatze: daß dem Dr. Leuthner in Rücksicht seiner dürftigen Umstände, und der ihm gänzlich mangelenden Praxis, seine ganze Besoldung von 560 fl. als Pension belassen werden solle.

Antrag Stichaners zur Förderung der Salpetererzeugung durch entsprechende Einrichtungen.

3. Herr geheimer Justiz-Referendär von Stichaner legte dem Staatsrathe einen Bericht der Zeughaus Haupt-Direktion wegen den von den Unterthanen absichtlich gemacht werden sollenden Hindernißen bei dem Salpetergraben und die dadurch an das Ministerial Justizdepartement veranlaßte Cabinets-Ordre vor, und äuserte in einem schriftlichen, an Seine Churfürstliche Durchlaucht gerichteten Antrage, alle Gründe so der {4v} Ausführung der von der Zeughaus Haupt-Direktion hiegegen gemachten Vorschläge entgegen stehen, und welche Vortheile den Unterthanen zu fliessen würden, wenn die Salpeter-Erzeugung durch eigene Anstalten erzielet würde, wenn solche auch mit einigen Aufopferungen verbunden wären.

Nach gehaltener Umfrage genehmigte der Staatsrath, daß dieser Antrag, der abgelesen wurde, im Namen des Staatsrathes Seiner Churfürstlichen Durchlaucht gehorsamst vorgeleget werde, doch sollen noch die von den Herren geheimen Finanz-Referendärs v. Steiner und v. Schenk gemachte Bemerkungen: daß die künstliche Salpeter-Erzeugung der vierten Deputation der gen. Landesdirektion in Benehmen mit der Zeughaus-Haupt-Direktion übertragen, und das den Saliterer bisher bezahlt werdende Capital auf diese künstliche Erzeugung des Salpeters zur eigenen {5r} Ersparniß des Militär Aerarii verwendet werden mögte, in dem Entwurf aufgenommen werden.

Versetzung des Landrichters zu Aichach, Hubert v. Mayer, in den Ruhestand.

4. Durch Ablesung eines Berichtes, den der Chfstl. Landrichter zu Aichach von Mayer in Land-Capitulanten-Gegenständen an die General Landesdirektion erstattete, zeigte Herr geheimer Justiz-Referendär von Stichaner, wie die an Wahnsinn gränzende Melancholie dieses Beamten einen solchen Grad erreichet habe, daß es nach Meinung der General Landesdirektion und des Ministerial Justizdepartements bedenklich werden könnte, demselben noch ferner ein so beträchtliches Amt wie Aichach und damit das Wohl mehrerer tausend Menschen anzuvertrauen. Aus diesen Gründen stelle erwehntes Departement seinen Antrag dahin: den Landrichter v. Mayer unter die zu quiescirenden Beamten zu setzen, seine Quiescenz aber mit solcher Schonung ihm zu eröfnen, daß diese Ruheversetzung auf seine Geisteskräfte keinen nachtheiligen Einfluß habe.

Dieser Antrag des Ministerial {5v} Justizdepartements wurde genehmiget, zugleich solle aber dem Gerichtschreiber in Aichach Zwack der Auftrag gegeben werden, gemeinschaftlich mit dem dortigen Arzt den Zustand des v. Mayer im Geheim zu beobachten und zu sorgen, daß er nicht in einem wiederkehrenden Anfalle von ähnlichem Wahnsinne wie bei Abfaßung des Berichtes, sich etwas erlaube, was dem Wohle der ihm anvertrauten Unterthanen, oder dem Ansehen der Justiz entgegen laufe; in einem solchen Falle solle der v. Zwack schleunige Anzeige zur General Landesdirektion erstatten.

Den Nestlern wird erlaubt, sich als Ersatz für die an die Weißgerber verlorenen Arbeiten mit »Säcklerarbeit[en]« zu beschäftigen.

5. Herr geheimer Justiz-Referendär v. Stichaner äuserte sich auf einen von der General Landesdirektion wegen der Nahrungslosigkeit der Nestler erstatteten Bericht, den er ablas, wie das geheime Ministerial Justizdepartement mit den darin {6r} entwickelten Verhältnißen und Anträgen sich vollkommen vereinige, und in dessen Folge dem Staatsrathe anrathe: Jedem der Nestler, welche durch die den Weißgerbern erlaubte Färbung ihrer Felle, ihre ganze Gewerbsnahrung verlohren, zu gestatten, sich als Ersatz eine Art von Arbeit zu wählen, die er bei seiner Obrigkeit anzeigen, und wobei er alsdann bleiben müsse, daß also denen schon sich gemeldeten Nestlern die Säcklerarbeit erlaubet werde, ohne daß sie verbunden seyn sollen, sich wegen der ihnen gestatteten Arbeit bei den Säcklern einzünften zu lassen.

Dieser Antrag wurde von dem Staatsrathe genehmigt464.

Stichaner beginnt seinen Vortrag über die Nachlaßsache des Jean-Paul Bombarda.

6. Herr geheimer Justiz-Referendär v. Stichaner eröfnete dem Staatsrathe, daß er wegen der Bombardischen Verlassenschaftssache einen umständlichen Vortrag gefaßet465, der drey Epochen: I. die Bombardische Verlassenschaft von den Jahren 1712 bis 1735. II. das Prinz Grienbergische Rechnungswesen von den Jahren 1736 bis 1749 und {6v} III. die General Peglionische Negotiation von den Jahren 1749 bis 1768 in sich faße. Er habe die deswegen vorhandene Acten gesammelt, eingesehen, und sich bemühet, diesen so verwickelten Gegenstand so deutlich vorzulegen, daß man denselben sowohl in seinen einzelnen Theilen, als im Ganzen beurtheilen könne.

Herr von Stichaner fing nun an seinen über den ersten Theil bearbeiteten Vortrag und mehrere hierauf Bezug habende Actenstücke abzulesen; da aber

die Mittagszeit schon zu weit vorgerückt war, so wurden die übrigen Theile dieser Verlassenschaftssache und der daraus erwachsenen Foderungen auf den nächsten Staatsrath ausgesetzet466 und die heutige Sitzung aufgehoben.

Vorlage der Beschlüsse beim Kurfürsten und Genehmigung.

Anmerkungen

460
Bayard hatte zuletzt an der Staatsratssitzung vom 13. Oktober 1802 (Nr. 68) teilgenommen.
461
Bekanntmachung der Ernennung (»in Rücksicht seines Eifers und der besondern Geschicklichkeit, welche derselbe bey der General-Landesdirektion sowohl, als den ihm aufgetragenen außerordentlichen Komißionen bewiesen hat«): RegBl. 1803, Sp. 16 (3. Januar 1803).
462
Nr. 54 (Staatsrat vom 28. Juli 1802), TOP 5.
463
Der Medizinalrat Anton Johann Nepomuck Edler v. Leuthner (1740 – 1814), Patrizier von München, wirkte daneben als »Staabsmedicus« beim Stab des Obersthofmeisters und des Oberststallmeisters (HStK 1802, S. 38, S. 42; vgl. Hoffmeister, S. 19 u.ö.).
464
Gemäß einer Bekanntmachung vom 24. Januar 1803 durften die Nestler »auch ein anderes Handwerk, dessen sie kündig sind, Säcklerarbeit, oder Weißgärberey«, betreiben. Wenn sie der entsprechenden Zunft beitraten, waren sie »von den sonstigen Handwerkserfordernissen, der Lehrjahre und Wanderschaft« zu befreien (RegBl. 1803, Sp. 72).
465
Stichaner bezieht sich in seinem 93 Folioseiten umfassenden Vortrag (BayHStA MA 83755) auf einen verwickelten Rechtsfall, der seinen Ursprung in den komplizierten Geldgeschäften des kurbayerischen Schatzmeisters Jean-Paul Bombarda hatte. Der Bankier, der während des Spanischen Erbfolgekrieges die französischen Subsidienzahlungen an Kurbayern transferierte, schuldete dem Kurfürsten Max Emanuel bei seinem Tod 1712 noch beträchtliche Summen. Es kam darüber zu einem langwierigen Rechtsstreit mit den Erben Bombardas, der 1729 mit einem Gerichtsurteil zugunsten des Kurfürsten entschieden wurde. Mit der Eintreibung der Schulden (und daneben mit der Besorgung aller Finanzgeschäfte des Kurfürsten in Frankreich) wurde der bayerische Gesandte in Paris und wirkliche Geheime Rat Louis Joseph Comte d’Albert-Fürst Grimberghen (1672 – 1758) beauftragt, der daneben private Forderungen an den Nachlaß Bombardas hatte. Nicht zuletzt deswegen erregte seine Geschäftsführung den Verdacht, er habe Unterschlagungen begangen. Der Kurfürst verurteilte ihn deswegen zur Erstattung einer Summe, die etwa ein Drittel der jährlichen bayerischen Staatseinnahmen ausmachte. Der zur Beschlagnahme von Grimberghens Vermögen 1749 nach Frankreich entsandte Offizier Joseph von Peglioni mußte indes den Rechtsweg beschreiten, da der Fürst nicht zahlungswillig war und auch nicht ausgeliefert wurde. 1765 kam es schließlich zu einem Urteil, das – ganz entgegen den Erwartungen der bayerischen Prozeßpartei – Peglioni (als Vertreter des bayerischen Kurfürsten) zum Schuldner der Erben Grimberghens erklärte. Sie sollten zudem bis zur Zahlung der gerichtlich festgelegten Summe von 513.403 Livres jährliche Erbrenten in Höhe von 40.000 Livres genießen. Diese Erbrenten wurden alsbald zum Gegenstand von Prozessen und juristischen Auseinandersetzungen, deren letzte archivalische Spuren bis 1845 reichen. Vgl. zum Ganzen: Hartmann, Finanz- und Subsidienpolitik, S. 51 – 70, S. 156 – 163; zu Bombarda auch ders., A l’époque; zu Grimberghen ders., Comte d’Albert; Fischer, Der Geheime Rat, S. 200. Zu den Hintergründen von Stichaners Vortrag im Staatsrat die Akten BayHStA MA 83755, zur weiteren Entwicklung MA 83756, MA 83757, MA 83758 sowie Bayer. Gesandtschaft Paris Nr. 6795. Im Zuge der Auseinandersetzung entstanden zahlreiche Druck- bzw. Prozeßschriften, z. B.: Memoire pour M. le Prince de Grimberghen. Contenant l’analise des Comptes, Diplomes, Décrets, & autres Titres Justificatifs […], Paris 1750 (BayHStA, Bibliothek, Sign. 4º E 443; weitere Schriften in dem Konvolut »Schriften die Fürst Grinbergische Verlassenschaft betrefent«, ebd. Sign. 4º E 444). Die Suche in Bibliothekskatalogen, z. B. im Bayerischen Verbundkatalog (URL: http://bvba2.bib-bvb.de), ergibt weitere Treffer.
466
Fortsetzung: Nr. 83 (Staatsrat vom 12. Januar 1803), TOP 4.